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Manfred Arens
Krauelei 10
38459 Bahrdorf

05364 / 4850
www.untexte.de



Beim Betrachten
Diskutieren und
Verstehen der cassinischen Teilung
(während der Eröffnung)



Presse:

"Wenn er selbst seine Kunst in eine Schublade einordnen müsste, würde er die "Zwischenlade" nehmen. Arens' Arbeiten entstehen nun einmal im Grenzbereich von Literatur und Bildender Kunst. Seine computeranimierten Texte sind nicht nur bildnerischer Eindruck, sondern voller Informationen, Mehrdeutigkeiten und Bezugnahmen."
(Alexandra Wolff, Wolfsburger Nachrichten)
         




Gästebuch:

"ausgesprochen kreativ und mir deshalb sympathisch"
(Martina Wiora)

"Das Spiel mit Worten und Buchstaben ... hat mich fasziniert. ... Die Kombination von Poesie und Mathematik ist besonders interessant."
(Petra Buntzoll)

"Jedes einzelne "Bild" ist eine Herausforderung - befriedigt aber Geist und Auge aufs Höchste."

"Tolle Ideen
Tolle Umsetzung"

"Ich komme schwer hinter die Absicht, aber visuell schön"





Vortrag von Prof. Dr. Detlef Seydel
zur Eröfnung der Ausstellung




Cassini, sagt man, war ein ausdauernder, sehr genauer Beobachter des Himmels. 1675 wurde er dafür belohnt: Er richtete sein Teleskop zum Saturn hoch und fand prompt eine Lücke im Ring. Diese Lücke heißt seitdem Cassinische Teilung.

Meine Damen und Herren, die Cassinische Teilung werden Sie heute hier betrachten können - ganz ohne Teleskop.

Das macht Manfred Arens möglich.

Wie, - das ist zunächst rätselhaft. Das war auch mir zunächst ein Rätsel. Darum besuchte ich Manfred Arens in seinem Haus in Bahrdorf.

Ich bin auf ein Künstleratelier vorbereitet, vielleicht auf eine Staffelei, jedenfalls auf den Geruch von ausgequetschten Farbtuben und Firnis.

Nichts davon finde ich.

Stattdessen einen Laptop auf dem Wohnzimmertisch, einen kleinen Beamer mit untergelegten Taschenbüchern und eine Katze, die mir um die Beine schnurrt. Ein Tintenstrahldrucker steht im Flur.

Dieser Künstler, der mir da - vor lauter Bart fast verborgen - im Sofa gegenübersitzt, kommt mir vor wie ein Zauberer, der bedenkenlos bereit ist, seine Tricks zu verraten. Doch mir scheint, als wüchsen mit jedem Verrat ihre Geheimnisse an.

Auf den ersten Blick machen mich die Werke ziemlich hilflos. Eigentlich sehe ich nichts. Gut, etwas natürlich schon: Neuartige Buchstabengebilde, in eigensinniger Anordnung. Irgendwie ästhetisch. Das ja. Doch woher kommen diese Lettern, die keinem Alphabet entsprungen sind?, frage ich Manfred Arens.

Verrat 1: Er setzt sie mit HTML, also der Sprache der Internet-Seiten, zusammen. So, wie für den Zyklus "Alice II" mit seinen drei Blättern (s. Bild 3). Diese Blätter sind die Zauberei. Die Tricks dazu stehen auf dem Tisch. Ein Schachbrett mit ein paar Figuren. Wie eine unterbrochene Partie. Daneben liegt das Taschenbuch: Through the Looking-Glass, and What Alice Found There von Lewis Caroll. Die Stellung der Figuren entspricht einem "Matt in drei Zügen". Für Caroll ist Alice der weiße Bauer, der in 8 Zügen zur Dame umgewandelt wird. Doch diese Züge folgen nicht den Regeln. Manfred Arens führt sie mir vor. Weiß zieht und dann zieht wieder weiß und zuletzt landet eine Figur außerhalb des Spielfeldes. Bei diesem letzten Zug blitzt in seinen Augen etwas Verwegenes auf.

Arens ist, wie Caroll, Mathematiker.

Vielleicht brauchen Mathematiker das: hin und wieder alle Regeln über Bord werfen.

Irgendwie geht es bei "Alice II" auch um die Umsetzung der üblichen algebraischen Schachnotation in die von Caroll verwendete englische, die Manfred Arens über die drei Blätter verteilt. Ich habe nicht alles verstanden; aber ich glaube, das Geheimnisvolle jetzt deutlicher zu sehen.

Ist das Gestalt aus Text oder gestalteter Text? "Literarisch-visuell" trifft es wohl ganz gut.

Manfred Arens zerlegt Sätze und Worte in ihre Bestandteile. Er digitalisiert das Analoge gewissermaßen. Dann spielt er klug mit den Bruchstücken, und setzt sie, scheinbar gegen jede Regel, so zusammen, dass sie hinterher schwerer wiegen als zuvor. Er hebt ihren Bedeutungswert.

Nehmen wir dieses Plakat (s. oben). Wir sehen darin das Wort "Wort"; aber auch den "Ort". Klar, das ist eine Anspielung auf die Bibliothek hier, den Versammlungsort der Worte. Arens ist durchschaut! Allerdings - das kleine schwarze "h" macht uns noch unsicher. Weil wir uns an die Regel halten, immer von links nach rechts zu lesen. Brechen Sie damit, die Ausstellung gibt Ihnen Gelegenheit, sich darin zu üben.

Merken Sie etwas? Zu allererst sehen wir nichts. Und dann ist doch etwas da.

Manchmal sehen wir es schneller: Bei "oh/14" etwa, zählen wir wirklich 14mal ein "oh" (s. Bild 1).

Verrat 2: Alles Stehengebliebene "o's" eines Sonetts des Barock-Dichters Andreas Gryphius, "o's", die wie Gräten eines fetten Fisches übrig bleiben, dessen Fleisch die Arens'sche Katze fraß, die mir um die Beine schnurrt.

Das denke ich und schäme mich wegen meiner Pietätlosigkeit.

Bei einigen Arbeiten fällt mir DADA ein. Auch Ernst Jandl schwebt vorbei. Aber ich will mich nicht davon leiten lassen, dass ich weiß, dass DADA in Manfred Arens' künstlerischem Werdegang durchaus eine Zwischenstation war.

Bei manchen Werken muss ich, wie Cassini, ausdauernder und sehr genau beobachten.

Etwa bei "298 Stühle der Braut" (s. Bild 6a). Wieder sehe ich darin zuerst gar nichts, außer einzelne, labyrinthische Muster. Und doch ist wieder etwas da; denn Verrat 3: dem Muster liegt ein "Hochzeitslemma" zugrunde, ein Satz über Primzahlen, in dem sich wundersam Zahlenpaare vermählen, die Manfred Arens in ein 0-1-Muster von Schwarz-Weiß umsetzt.

Oft wird die Mathematik missverstanden. Sie ist trocken, sagen die einen, andere sprechen ihr pauschal die Brauchbarkeit ab. Kaum einer schwärmt von ihrer Schönheit, nennt ihre Beweise elegant oder bescheinigt ihren Sätzen Ästhetik. Die das doch tun, sind entweder Mathematiker, oder - sie haben die Arbeiten von Manfred Arens gesehen. In denen zwar oft die Mathematik steckt; aber auch Religion und immer wieder die Freude am semantischen Experiment.

Nach drei Stunden und 5 Tassen Tee - der Beamer wirft stumm Werk für Werk an die Wand - fragt mich Manfred Arens nach meinem Eindruck. Ich fürchte, mein Schweigen enttäuscht ihn. Doch auch Cassini soll sprachlos gewesen sein, als er die Teilung des Saturnringes entdeckte. Was ich bei mir denke, sage ich ihm nicht.

Ich frage mich, ob es sich mit der Cassinischen Teilung verhält wie mit den Arens'schen Arbeiten. Da, wo scheinbar nichts ist, ist bei genauer Betrachtung doch etwas. Eine Art geheimnisvolle, dunkle Materie.

Als wir uns voneinander verabschieden, glaube ich hinter den abziehenden Schneewolken den Saturn zu erkennen.